Das RB-Thema erhitzt die Gemüter. Heute spielen wir endlich (?) in Leipzig. Wie schon bei der ersten Begegnung im Oktober, erreichen uns von allen Seiten Nachrichten. Vieles davon ist aus argumentativer Sicht leider sehr dünn, sodass wir darauf nicht näher eingehen. Ein interessanter Kommentar wurde jedoch auf dem Blog footballuprising veröffentlicht:
Ich bin alles andere als ein Freund dieses Scheiß-Vereins und finde Aktionen gegen RB deshalb prinzipiell auch vollkommen okay. Beim Spiel Union gegen RB beteiligte ich mich selbst mit den anderen 15000 Besuchern daran. Der 20-minütige Stimmungsboykott mit übergezogenen schwarzen Müllsäcken sowie die darauffolgende (Stimmungs-)Explosion war schon ziemlich geil (auch der Sieg, aber das wird die Leser dieses Blogs an dieser Stelle wahrscheinlich eher weniger interessieren…).
Die Begründungen dieser Ablehnung, die in den diversen Aufrufen für Aktionen gegen diesen Verein zum Ausdruck kommen, gefallen mir allerdings – aus den verschiedensten Gründen – eher weniger. Euer Aufruf erscheint mir dabei ziemlich exemplarisch zu sein. Es würde an dieser Stelle allerdings zu lange dauern, dies hier ausführlicher darzulegen, aber die Stichwörter, die für allerhand Mystifizierungen dienen, kann ich schon mal nennen: Tradition, echte Arbeit und Verrat. Demnächst werde ich mich dazu mal ausführlicher äußern, aber ich denke, dass RB als bis ins letzte Detail durchkomponiertes Marketingprodukt eher den deutlichsten Ausdruck einer Entwicklung darstellt, die nicht aufzuhalten sein wird. Und leider vielleicht sogar den ehrlichsten.
Weshalb ich mich an dieser Stelle allerdings überhaupt zu Wort melde, hat mit dem Ende des Aufrufs zu tun: “Also macht kaputt, was euch kaputt macht!” Die Scherben, von denen dieser Ausspruch stammt, und mit ihnen eine ganze Generation von Revoltierenden, kritisierten damit diese Scheiß-Welt an sich: alle Konzerne, die gesamte Gesellschaft, die stumpf machende Maloche und den regelnden Maschinentakt. Ihr allerdings fordert in eurem Aufruf den Schulterschluss mit allen Vereinen und den Spielern (gegen das vermeintlich größte Übel aller Übel), und ich kann nicht glauben, dass ihr das wirklich ernst meint. Oder? Wirklich mit den ganzen Vereinen, inklusive ihrer (AG-)Strukturen, den Hierarchien, den damit zusammenhängenden (prekären) Scheißjobs, den dahinterstehenden Konzernen, den Zielen der Profitmaximierung usw.? Und auch mit all diesen dressierten Spielern – Arbeitskraftverkäufer und Produktionsmittel in einem –, die sich wie gut geölte Maschinen über den Platz schieben, wollt ihr in einem Boot sitzen? Meint ihr das wirklich ernst? Ist eure gesamte Kritik an diesem Spektakel wegen diesem einen Scheiß-Konzern flöten gegangen? Ich kann’s mir eigentlich nicht wirklich vorstellen und einige andere Berichte auf euren Seiten scheinen mir dabei auch recht zu geben…
R. (footballuprising.blogsport.eu)
Bei all den Nachrichten, die uns erreichen und die teilweise wirklich unter die Gürtellinie gehen, haben wir hinsichtlich RB eigentlich auf Durchzug geschaltet. Zwei Wochen hat man eben den Leipziger Shitstorm gegen sich. Nichts, was wir nicht aushalten könnten oder inzwischen gewohnt wären. Bei diesem Kommentar dagegen verhält es sich anders. Ein Schreiber aus unserem Ya Basta!-Team hat sich die Mühe gemacht etwas ausführlicher zu antworten.
Lieber R.,
mit einer Mischung aus Wohlwollen und Verwunderung habe ich deinen Kommentar auf einen unserer Blogposts gelesen. Denn mal ehrlich: Ich glaube soweit liegen wir gar nicht auseinander.
Ich muss dir sogar in einigen Punkten Recht geben. Die Kritik an Red Bull, wie sie vielfach praktiziert wird, ist tatsächlich bedenklich. Gelegentlich spielt sie sogar mit Begriffen und Symboliken („Rattenball“), die nicht nur bedenklich sondern widerlich sind. Meine alten Kumpels hätten an dieser Stelle reflexartig von „regressiver Kapitalismuskritik“ gesprochen. Wahrscheinlich beschreibt es das sogar ganz gut. Hinterfragt wird ein Symptom und nicht die Ursache. Red Bull wird zum versinnbildlichten Bösen stilisiert; die kapitalistische Logik dahinter kümmert nicht. – Sicherlich zugleich symptomatisch für die deutsche Ultrasszene: Denn verkürzt ist nicht nur die Kritik an Red Bull, sondern die gegen den Modernen Fußball im Allgemeinen.
Dieses Thema haben wir zum Beispiel in unserer (inzwischen vergriffenen) Ausgabe 40 ausführlich behandelt. Damals habe ich mich über mehrere Tage und Abende durch Meldungen, Reportagen und Videos zum Thema Red Bull gewälzt. Im Heft haben wir dem Thema immerhin sechs Seiten eingeräumt. – Ich vermute an dieser Stelle einfach Mal, dass du es nicht gelesen hast. Vielleicht würdest du weniger hart mit uns ins Gericht gehen.
„Die Kritik an Red Bull setzt häufig leider sehr an der Oberfläche an. „Gegen RB“-Shirts, dazu ein kleines Spruchband – wirklich originelle und aufsehenerregende Aktionen waren bislang selten dabei. Natürlich auch, weil nur wenige Szenen die Größe der Rostocker haben und wirklich etwas reißen könnten; leider aber auch deshalb, da „Gegen RB“ vielerorts einfach der kleinste gemeinsame Nenner ist, um gegen die Ökonomisierung des Fußballs zumindest ein bisschen aufzubegehren. […] Die notwendige Radikalität und Konsequenz in allen Lebensbereichen war eben selten eine Stärke der (fußball-)deutschen Protestbewegungen. Wir ahnen schlimmes.“
So eine Passage aus dem damaligen Text in unserem Heft. Dort haben wir den Raum, um Themen ausführlich zu betrachten und unterschiedliche Blickwinkel zu ermöglichen. Mit unserem Blog verhält es sich dagegen anders: Das Internet bleibt für uns zwar kein Neuland, aber eben doch ein Nebenprojekt. Da werden wir keine seitenweisen Artikel hochladen, die bis auf 50 Leute, sowieso niemand zu Ende liest. Aus unserer Sicht wäre das schlichtweg verlorene Liebesmühe: Nach zwei Tagen im Facebook-News Feed hat das Social Web die viele Arbeit, die hinter einem gut recherchierten Text steht, zumeist schon wieder vergessen.
Den Blog nutzen wir überwiegend für Ankündigungen, wie du siehst. Oder eben, wenn uns wirklich mal ein Thema auf den Nägeln brennt und wir wegen Aktualität und Relevanz nicht auf Veröffentlichung des Heftes warten können. Teilweise sind wir dabei natürlich etwas polemisch, teilweise treibt uns schlichtweg die Wut – und auf so etwas „überbewertetes“ wie Redigieren geben wir dann erst recht einen Fick. Teilweise nutzen wir den Blog aber auch, um noch mal auf ein aktuelles Thema aufmerksam zu machen. In diesem Falle Red Bull. Ein kurzer Text, ein paar Aspekte als Informationshappen. Nicht mehr nicht weniger. Oder erwartest du auf sieben Absätzen tatsächlich so etwas wie „emanzipatorische Kritik“?! – Für alles Ausführlichere gibt es eben unser Magazin.
Ich verstehe dich insofern als dass der Aufruf natürlich etwas kurz geraten wirkt. Vielleicht unterscheiden sich die darin enthaltenen Argumente auch nur rudimentär von dem Rotz, den andere Szenen so veröffentlicht haben. Uns aber unterschwellig rechte Rhetorik und „Mystifizierung“ vorzuwerfen („Tradition, echte Arbeit und Verrat“), das ist aus meiner Sicht dann doch etwas weit hergeholt, lieber R..
Der Punkt ist doch der: Du lebst genauso wie wir den Wochenend-Widerspruch, jedes Mal wenn du ein Fußballstadion betrittst. Noch verheerender: Wir beide wissen sehr gut darüber Bescheid. Verzichten können wir jedoch nicht. Wer unter kapitalistischer Logik lebt, der kann sich dem nicht entziehen. Selbst wenn er sich Öff!Öff! nennt und ein Aussteiger-Projekt startet. Wir können der Sache nicht entkommen – schon gerade nicht beim Fußball und mit Sicherheit auch nicht bei den Vereinen, die wir selbst unterstützen.
Neben unserer Tätigkeit als Fanzine-Macher sind wir vom Ya Basta! an den unterschiedlichsten Ecken in unserer Fanszene eingebunden. Wir schreiben nicht nur, wir handeln. Also schreiben wir, in dem Moment in dem wir uns dem Thema Red Bull nähern, natürlich stark eingefärbt durch die Vereinsbrille. Wir sind Fans und Mitglieder, verloren in irrationaler Hingabe zu unserem Verein (sic!). Der 1.FC Nürnberg ist formal natürlich genauso Kapitalismus, wie Red Bull, Volkswagen, Bayer, SAP und Audi. Da gebe ich dir Recht. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass sich der 1.FCN für mich eben noch immer anders anfühlt als Vereine wie RB Leipzig. RB Leipzig gibt es nur, da die Red Bull GmbH einen neuen Werbeträger benötigt hat. In seiner Funktion unterscheidet sich der Verein nicht signifikant von Außenwerbung oder TV-Spots. Bei Vereinen wie dem 1.FCN ist das anders. Er wurde aus privater Initiative und Leidenschaft gegründet. Kommende Generationen haben ihn aus Hingabe groß gemacht. Geld und Verwertungslogik spielten zunächst keine Rolle.
Freilich treten sowohl RB als auch der FCN heute unter den gleichen kapitalistischen Bedingungen an. Freilich treibt es auch mein Verein aus monetären Interessen zu bisweilen abscheulichen Blüten. Dennoch weiß ich, dass es bei meinem Verein eben nicht immer so war; dass die Ursache für die Gründung des 1.FC Nürnberg kein kapitalistischer Selbstzweck war. – Deshalb kann ich ihn auch noch halbwegs guten Gewissens unterstützen. Wohlwissend, dass meine Fanszene jederzeit wachsam sein muss.
Dass du dich an manchen Begrifflichkeiten zu stören scheinst, kann ich nur bedingt nachvollziehen. Bloß weil Begriffe wie Tradition oder Ehre auch gerne in rechten Kreisen besetzt werden, bedeutet das aus meiner Sicht nicht, dass man sie nicht mehr verwenden sollte, wenn sie passend sind. Schließlich bedeutet der Verweis auf die Tradition meines Vereins noch lange nicht, dass ich alle Aspekte seiner Geschichte glorifiziere. Im Gegenteil: Wäre dem so, dann wären Aktionen wie die für Jenö Konrad in unserer Fanszene gar nicht möglich gewesen. – Sofern du also möchtest, ersetze einfach „Tradition“ durch „Historie“, ersetze „echte Arbeit“ durch „Kontinuität“ und „Verrat“ durch so eine umständliche Worthülse wie „Frustration über plötzliche Veränderungen in unserem direkten Lebensbereich“. Du siehst also: Manchmal muss es nicht schaden die Dinge beim Namen zu nennen. Auch wenn wir dabei zugegebenermaßen zu einem gewissen Pathos neigen. Wir sind eben immer noch Ultras.
Umso länger ich über deine Worte nachdachte, umso passender erschien mir eine private Anekdote als Vergleich:
Als ich 16 war, saß ich mal in einem McDonalds. Damals war ich idealistisch bis auf die Zehenspitzen. Ich wollte in dem Laden nichts essen. Irgendwann ließ ich mich doch dazu verleiten. McDonalds ist schließlich genauso Kapitalismus wie jeder andere scheiß Schuppen auch, sagte ich mir. – Dennoch fühlte ich mich nie sonderlich gut dabei. Da war immer eine kleine Stimme in mir, die aufschrie und rebellierte. Bei meinem Lieblings-Kurden um die Ecke hatte ich das nie. Hier schmeckt das Essen (noch) lecker(er) und ich brauche keine Skrupel wegen irgendwas haben.
So ähnlich wie mit McDonalds und dem kurdischen Imbiss, verhält es sich für mich auch mit Red Bull und dem 1.FCN. Beide agieren auf ähnlichem Feld, beide in gleicher Gesellschaft. Der eine bleibt jedoch austauschbar und liegt schwer im Magen; der andere ist einmalig, vertraut, aber immer für Überraschungen gut. Beide lassen formal keine Wünsche übrig. Bei dem einen habe ich jedoch ein mulmiges Gefühl, bei dem anderen fühle ich mich von Grund auf Wohl.
Es bleibt letzten Endes eine Gewissensfrage, die sich rational nicht völlig erklären lässt. Allein schon weil der Fußball und unser Dasein als Fans niemals rational war.
„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ – Da gebe ich dir Recht. Aber wenn du die Wahl zwischen Red Bull und Club Mate hättest, würdest du doch auch die Mate saufen!
Grüße aus Türkei
P.
PS: Ich lege dir wärmstens die neue Ya Basta! #42 ans Herz. Manch einer behauptet es sei geiler Scheiß; wir selbst natürlich auch. Das Urteil überlasse ich dir.